Wenn der Besucher durch ein quietschendes, schon etwas schiefes Tor
das Grabungsgelände von Oescus am Dorfrand von Gigen betritt, liegt
vor ihm, noch außerhalb des Stadtgrabens, ein Gebäudekomplex
von bemerkenswerter Größe (Abb. 1). Will er Genaueres über
diesen Bau erfahren, so stößt er allenthalben auf spärliche
Auskunft. Das Gebäude, das die Italienische Archäologische Mission
unter Leitung von Antonio Frova in den Jahren 1941-1943 in Zusammenarbeit
mit bulgarischen Archäologinnen und Archäologen ausgegraben hat,
wird in dem kleinen Führer, den das Museum Pleven vor Jahren herausgegeben
hat [1] , lediglich als "riesiges öffentliches
Gebäude mit noch immer unbestimmtem Zweck" [2]
bezeichnet, und es werden seine baulichen Besonderheiten dargestellt. In
der Tat hat auch die wissenschaftliche Literatur, die seit dem durch die
Kriegsereignisse verursachten Abbruch der Arbeiten an dem Komplex erschienen
ist, wenig mehr dazu zu sagen. Es fanden vor allem konstruktive Details
des Gebäudes Beachtung. [3] Erst jüngst
wurde wieder eine Deutung gewagt, allerdings ohne daß eine ausführliche
Begründung gegeben wurde. [4]
In der vorliegenden Arbeit soll die bisherige Forschung zu dem Gebäudekomplex
zusammengetragen und auch anhand eigener Beobachtungen am Bau
selbst überprüft werden, um die Frage nach seiner
Bestimmung neu zu stellen und zu untersuchen, ob es sich tatsächlich,
wie die Forschungslage vermuten ließe, um ein undeutbares Unikat
handelt.
Die Reste von Oescus liegen am Rande des heutigen Dorfes Gigen im bulgarischen Bezirk Pleven. Die sogenannte "Gradi^ste" zeichnet sich als terrassenartige Erhebung deutlich vor der sie umgebenden Ebene ab. Der Abstand zum heutigen Verlauf des Flusses Iskâr beträgt etwa 300 m, der zur Mündung des Iskâr in die Donau 5 km. Felix Kanitz beschrieb die Gradi^ste als von Iskâr, Donau und einem mit dem Iskâr verbundenen Seearm eingeschlossen [5] (Abb. 2), und auch Karel ^Skorpil [6] sah noch das alte Flußbett des Iskâr (Abb. 3), das sich an der südwestlichen Ecke der Stadtanlage gabelte und mit dem einen Zweig an der südlichen, mit dem anderen Zweig an der westlichen und nördlichen Seite verlief. Seiner Meinung nach floß der Iskâr ursprünglich westlich der Stadt. Das Gebiet bis zur Donau war bis zur Anlage von Deichen in den 20er Jahren Sumpf- und Überschwemmungsgebiet. Deswegen verlief die römische Uferstraße hier in größerer Entfernung von der Donau. Oescus liegt an dem Schnittpunkt dieser Straße, die die Lager und Städte an der Donau verband, und der Straße von Philippopolis (Plovdiv) über den Paß von Trojan zur Donau (nach Errichtung der konstantinischen Donaubrücke weiter nach Sucidava (Celei)), von der bei Melta (Love^c) eine weitere nach Nicopolis ad Istrum (Nikjup) abzweigte (Abb. 4).
Im Zuge der Eroberung Illyriens wurde durch den Legaten von Makedonien,
M. Licinius Crassus, in den Jahren 29 und 28 v. u. Z. die römische
Herrschaft zwischen Balkan und Donau etabliert. Nach dem Sieg des Tiberius
über die Sordisker im Jahre 15 v. u. Z. markierte die Linie Save-Donau
bis zum heutigen Nikopol die Grenze des Imperiums. Das Gebiet östlich
davon wurde von thrakischen Klientelkönigen beherrscht. Cn. Cornelius
Lentulus ließ nach der Abwehr eines Angriffes der Daker, Sarmaten,
Bastarner und Geten zwischen den Jahren 14 und 11 v. u. Z. ein System von
Befestigungen am rechten Donauufer errichten, zu dem aufgrund seiner Lage
auch Oescus gehört haben dürfte. In diese Zeit fällt auch
die Gründung des selbständigen mösischen Militärkommandos.
Die historischen Nachrichten zu Oescus sind spärlich. [7]
Ptolemaios nennt es Oiskoston Triballon, [8]
was die Annahme nahelegt, daß an dieser Stelle bereits eine Siedlung
der Triballer existiert hat. Sie wird in einem Tell nordwestlich der antiken
Stadt, von wo prähistorisches Material stammt, vermutet, wurde aber
noch nicht durch Grabungen nachgewiesen.
Der Zeitpunkt der Stationierung einer Legion, der legio V Macedonica,
in Oescus ist unsicher. Epighraphischen Quellen lassen sich Hinweise darauf
entnehmen, daß ein Lager der legio V Macedonica mit
canabae seit spätaugusteischer Zeit bestand. [9]
Nach Ovid [10] lagen im Jahre 12 u. Z.
römische Truppen an der unteren Donau. Aus Tacitus [11]
geht hervor, daß in der neugegründeten Provinz im Jahre 23 u.
Z. zwei Legionen stationiert waren.
Mit Sicherheit zeugt jedenfalls eine auf das Jahr 33 u. Z. zu datierende
Bauinschrift der legio V Macedonica und der legio IV Scythica
von Arbeiten der beiden Legionen an der Uferstraße. Spätestens
für diese Zeit kann also von der Anwesenheit der fünften makedonischen
Legion in Oescus ausgegangen werden. Ein um 1900 gefundener frühneronischer
marmorner togatus zeugt von der Bedeutung, die Oescus damals bereits
besaß. [12] Die Legion wurde 62 u.
Z. von Nero zur Unterstützung seines Armenienfeldzuges abgezogen,
von 66 bis 71 u. Z. nahm sie unter Vespasian am Jüdischen Krieg teil.
[13]
Die eben veröffentlichten Ergebnisse der Ausgrabungen 1989-1993 [14]
und die Sondagen, die ich bei meinem Aufenthalt 1996 sehen konnte, unterstützen
die Vermutung, daß sich die Lager der Legion und die canabae
an der Stelle der späteren Colonia befanden, wie es auch an anderen
Orten der Fall war. Es wurden am Forum und im südöstlichen Stadtgebiet
Reste einer Bauphase mit Holz-Erde-Bauwerken sowie einer weiteren mit Lehmziegelmauern
auf Steinsockeln gefunden, die aufgrund der Beifunde den beiden Stationierungsperioden
vor 106 u. Z. zugewiesen werden. Eine ebensolche Abfolge der Bautechniken
ist auch in Novae (Svi^stov), dem Standlager der legio I Italica,
beobachtet worden. [15]
In den Dakerkriegen Trajans (101/02 und 105/06) spielte Oescus als Stützpunkt
des niedermösischen Heeres eine bedeutende Rolle. Der Grabstein eines
Legionärs belegt die einen längeren Aufenthalt der legio XI
CLaudia. [16] Die Legion war mit Beginn
der Dakerkriege aus ihrem alten Standlager Vindonissa (Windisch, Schweiz)
abgezogen worden und erhielt nach Kriegsende ihr neues Lager in Durostorum
(Silistra, Bulgarien). [17] Auch die legio
V Macedonica kehrte aus ihrem Kriegseinsatz nicht wieder nach Oescus
zurück: Ihr neues Standlager wurde Troesmis (Iglica, Bez. Tul^ca,
Rumänien), ab 167 u. Z. Potaissa (Turba) in Dakien. [18]
Auf diese Zeit ist die Erhebung von Oescus zur Colonia Ulpia Oescus (oder
Oescensium) [19] anzusetzen. Aufgrund der
in Oescus gefundenen Ziegelstempel nimmt man an, daß nach 106 u.
Z. vexillationes der legio XI Claudia und legio I Italica
hier stationiert waren. [20]
Im 2. Jh. erlebte Oescus seine erste Blüte, die in einer reichen Bautätigkeit
Ausdruck fand (s. Abschnitt »Überblick über das Stadtgebiet«).
Mit dem Einfall der Karpen und Goten im Jahre 238 u.Z. begann eine Reihe
von Barbareneinfällen in das Gebiet südlich der Donau, die für
die Provinzen Thrakien und Niedermösien den Ausbruch der Reichskrise
des 3. Jh. beschleunigten. [21] Allerdings
führten die verschiedenen Angriffe in den folgenden Jahren noch nicht
zu einer Schwächung der Wirtschaftskraft, auch die zivile Bautätigkeit
wurde fortgeführt. [22] Akut wurde
die Krise erst mit der Niederlage des Decius gegen die Goten:
Im Jahre 250 überschritten die Goten die Donau in einem Bereich zwischen
Sexaginta Prista / Ruse und Augustae die Donau. [23]
Der Übergang oder zumindest einer der auf mehrere Stellen verteilten
Übergänge fand wohl bei Oescus statt. [24]
Im Winter 250/51 sammelte Decius bei Oescus seine bei Beroë / Augusta
Traiana (heute Stara Zagora) geschlagenen Truppen, um, verstärkt durch
die Truppen aus Oescus und Novae, von hier aus erneut gegen die Goten zu
ziehen. Dabei fand er in der Schlacht bei Abritus (heute Hisarlâk
bei Razgrad) den Tod. Es folgte eine Zeit ständiger Invasionen transdanubischer
Völkerschaften, mit denen ein wirtschaftlicher Niedergang einherging.
Erst der Sieg Claudius' über die Goten bei Naissus (269) schuf wieder
eine relative Stabilität an der Donaugrenze.
Als Aurelian 271 Dakien aufgab und südlich der Donau die Provinzen
Dacia ripensis und Dacia mediterranea errichtete, wurde Oescus ersterer
zugeschlagen. Die aus Dakien abgezogene legio V Macedonica kehrte
in ihr altes Standlager zurück. Die Stadtfläche wurde um ein
rechteckiges Areal von 10 ha erweitert.
Kaiser Diokletian scheint sich im Winter 291 u. Z. in der Stadt aufgehalten
zu haben, wenn die Ortsangabe »Triballis« unter einem Reskript
des Codex Iustinianus richtig gedeutet wird. [25]
Im Jahre 328 u. Z. wurde eine Brücke, die Oescus mit Sucidava (heute
Celei bei Corabia) auf der anderen Donauseite verband, fertiggestellt.
[26] Ihre Einweihung am 5. Juli fand in
Anwesenheit Konstantins statt. [27] Die
neue Verbindung erhöhte die Bedeutung der Stadt, die in der Folgezeit
eine neue Blüte erlebte. Für das Jahr 343 u. Z. ist ein Bischof
in Oescus bezeugt. [28]
Bei der Goteninvasion der Jahre 376 bis 378 u. Z. wurde, dem archäologischen
Befund nach zu schließen, [29] auch
Oescus in Mitleidenschaft gezogen.
Beim Einfall der Hunnen in Dacia ripensis wurde Oescus (»Hisko«)
von Verwandten Attilas erobert. [30] Wahrscheinlich
hat hierbei die Stadt erneut Schaden genommen.
Prokop [31] nennt Iskos unter den
Städten, die von Justinian mit einer »uneinnehmbaren Mauer«
umgeben worden seien. Dieser Umbau oder diese Reparatur ist allerdings
(wie des öfteren bei den von Prokop genannten Bauten) archäologisch
nicht nachweisbar. [32] Weiterhin habe
Justinian einer bis heute nicht lokalisierten Festung Ounnon am
Donauufer Aufmerksamkeit geschenkt und an gegenüberliegen Uferstellen
die Festungen Palatiolon (Baikal, bei Gigen) und Sucidava/ Sykibida
(Celei, Rumänien) wiederhergestellt.
Palastolon = Palatiolon wird auch in der Nachricht über die
Einfälle der Awaren und Slawen im Jahre 586 u. Z. erwähnt.
[33] Es ist anzunehmen, daß der Untergang
der römisch frühbyzantinischen Stadt mit diesen Einfällen
zusammenhängt.
Vom 10. Jh. bis zur türkischen Eroberung im 14. Jh. belegen die archäologischen
Funde das Bestehen einer bulgarischen Siedlung auf den Ruinen der antiken
Stadt. [34]
Im 18. Jh. berichtet der italienische Militäringenieur Graf Luigi
Ferdinand Marsigli in der Beschreibung seiner Donaureise von Wien bis zur
Jantramündung als erster über antike Ruinen bei »Gegende«
an der Mündung des Iskâr. [35]
Meines Erachtens hat er dabei jedoch kaum, wie bisher stets vermutet, die
Ruinen von Oescus gesehen: Sowohl auf seiner Karte als auch auch auf seiner
Planskizze der Ruinen (Abb. 5 und 6) zeichnet er sie westlich des Iskâr,
während Oescus östlich liegt. Eine Verwechslung scheint unwahrscheinlich,
denn das angedeutete Relief (ein Hochplateau, jedenfalls Hänge zum
Iskâr zu) entspricht eher den topographischen Gegebenheiten westlich
des Flusses. [36] Zusätzlich zur entsprechenden
Darstellung wird die Form der Anlage klar als »quadrata« bezeichnet,
einen Eindruck, den die Gradi^ste von Gigen auch vom Boden aus gesehen
nicht macht. Schließlich wird ein »agger« erwähnt,
der zum Donauufer läuft, wo sich weitere beachtliche Mauerreste befinden
sollen. Auch das ist nicht mit der Topographie von Oescus zu vereinbaren.
Wahrscheinlicher scheint mir, daß Marsigli Ruinen bei dem 4 km entfernten
Dorf Baikal gesehen hat, wo Frova Valeriana vermutete [37]
und Ivanov Palatiolon (s. o.) lokalisiert. [38]
Die nächste Nachricht eines europäischen Reisenden stammt von
Felix Kanitz, der Oescus im Sommer 1871 besuchte und die Lage der Ruinen
beschrieb. [39] Im Jahre 1905 gab Karel
^Skorpil eine Beschreibung der Stätte und veröffentlichte eine
Skizze, die, den damaligen Gepflogenheiten entsprechend, durch Abgehen
ausgemessen wurde (Abb. 3). [40] Er erwähnte
auch einige in der Gegend gefundene Statuen und Sarkophage sowie Reste
der Wasserleitung von Orechovica nach Oescus.
Die ersten wissenschaftlichen Ausgrabungen wurden ebenfalls 1904/05 unter
Leitung von Vaclav Dobruski im Forumsbereich unternommen. Von ihnen sind
keinerlei Aufzeichnungen erhalten. Ein großer Teil der gefundenen
Plastik und Architekturteile befindet sich im Historischen und im Archäologischen
Nationalmuseum in Sofia.
Die Italienische Archäologische Mission in Bulgarien führte in
den Jahren 1941 bis 1943 unter Leitung von Antonio Frova drei Kampagnen
in Oescus durch. Dabei wurde das hier zur Rede stehende große Gebäude
extra muros freigelegt. Sondagen fanden im Forumsbereich, am decumanus
maximus und am Westtor statt. [41]
Aufgrund der Kriegsereignisse konnten die Arbeiten nicht zu Ende geführt
werden. Die ausführliche Grabungsdokumentation sowie alle nicht in
den Vorberichten veröffentlichten Fotos gingen in den Luftangriffen
auf Sofia verloren.
Nach dem Kriege wurden die Ausgrabungen im Stadtgebiet 1947 bis 1951 und
1970 bis 1987 unter Leitung von Teofil Ivanov, seit 1988 unter der von
Rumen Ivanov und Gergana Kabak^cieva, fortgeführt. Dabei wurden u.
a. das Forum mit den Kapitolstempeln, eine basilica civilis, der
Fortunatempel und einige Bäder und Werkstätten freigelegt sowie
das Befestigungssystem von Oescus I und II untersucht. [42]
Das Gebiet der ursprünglichen colonia hat die Form eines unregelmäßigen Fünfecks und bedeckt eine Fläche von 18 ha (Abb. 7). Hier befanden sich, wie schon erwähnt, wahrscheinlich auch das Lager der Legion mit canabae vor der Erichtung der Kolonie. [43] Die sich östlich anschließende Oescus II genannte Erweiterung ist von nahezu regelmäßiger Rechteckform und einer Größe von 10 ha. Die Stadt wurde nach einem orthogonalen System angelegt, wobei die Orientierung der cardines von der Nord Südachse um 24°18' nach Nordost Südwest abweicht. Der decumanus maximus knickt vor seinem Westende nach Südwesten ab, um das an der Südwestecke gelegene Westtor zu treffen. Hier wurde offensichtlich auf den Straßenverlauf vor der Anlage der Kolonie Rücksicht genommen. [44] Auch die Verschiebung des decumanus maximus in den südlichen Teil der Anlage ist wohl damit und mit der Tatsache, daß die Uferstraße bei Oescus ein Überschwemmungsgebiet umgehen mußte, in Zusammenhang zu bringen. [45] Die Hauptstraßen waren z. T. von Portikus gesäumt.
Das erste archäologisch nachgewiesene Verteidigungssystem der Stadt
stammt aus spättrajanischer Zeit. [46]
Die Mauer von 2,80 bis 3,30 m Breite bestand aus Schalmauern aus Kalksteinblöcken
mit einem Emplekton aus Bruchsteinen und weißem Mörtel. Ergraben
wurde bisher nur das Westtor mit angrenzenden Mauerteilen. Vor der Mauer
verlief ein Graben, der noch heute deutlich im Relief des Geländes
zu erkennen ist.
Die Befestigung von Oescus II, die ausführlicher untersucht wurde,
[47] wurde im letzten Drittel des 3. Jh.
u. Z. angelegt. Zum Teil entstand sie über zerstörten Wohngebäuden
vor den Mauern von Oescus I, die möglicherweise der Goteninvasion
von 250/1 zum Opfer gefallen waren. Die 2,80 m breite Mauer bestand aus
Schalmauern, wiederum aus Kalksteinblöcken, ebenfalls mit Emplekton
aus Bruchsteinen und weißem Mörtel, die vereinzelt von Streifen
aus zwei Reihen roter Ziegel durchzogen werden. Es wurden 16 hufeisenförmige
und runde Türme lokalisiert sowie im Süden, Norden und Osten
je ein von Rundtürmen bewehrtes Tor freigelegt.
Oescus wurde von zwei Quellen mit Wasser versorgt: [48] Zum einen verlief ein 25 km langer gemauerter Kanal von dem südsüdwestlich gelegenen Orechovica an den Hügeln entlang des Iskâr. Reste fanden sich bei Orechovica, bei Gigenska Machala und in Gigen. [49] Zum anderen verliefen Tonröhren von Dobro^cina (3 km östlich) nach Oescus. [50] Beide Leitungen endeten wohl, wie die Wasserversorgungssysteme anderer Städte vermuten lassen, in einem "Wasserschloß", das im südöstlichen Stadtgebiet zu suchen sein dürfte. Der Eintritt nach Oescus unter dem Osttor von Oescus II hat anscheinend hinter dem Verteiler gelegen und dürfte sicher nicht der einzige gewesen sein. [51]
Die bisher im Stadtgebiet von Oescus ergrabenen Bauten lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: 1. die Bauten im Forumsbereich einschließlich der basilica civilis, 2. der heilige Bezirk der Fortuna, 3. die Bauten südlich des decumanus maximus einschließlich des Südostbades.
Das Forum selbst nimmt eine Fläche von 96 x 58 m ein und ist im
Osten, Süden und Westen von Portiken umgeben. Sie tragen ein korinthisches
Gebälk, der Fries ist mit von Bukranien getragenen Girlanden und Rosetten
geschmückt. Bemerkenswert ist die östliche, von Hypokausträumen
gesäumte Portikus, die der Inschrift zufolge von einem Bürger
»ad usum hiemis« gestiftet wurde. [52]
Den Nordabschluß des Forums bilden die drei Tempel der kapitolinischen
Trias: der größere mittlere war dem Jupiter Optimus Maximus,
die ihn symmetrisch flankierenden kleineren der Juno und der Minerva geweiht.
Sie werden in spättrajanische bis frühhadrianische Zeit datiert
und entstanden gleichzeitig mit den Portikus des Forums. [53]
Auffällig ist die Trennung der Tempel für die kapitolinische
Trias. Vergleichbare Beispiele fehlen in den bis jetzt erforschten Städten
Thrakiens und Mösiens. Auch aus den anderen Provinzen gibt es nur
wenige Beispiele: möglicherweise Baelo in Baetica (Spanien; Mitte
des 2. Jh. u. Z.) [54] , Sufetula (139-161) [55]
und Cirtha (beide in Nordafrika) [56] .
Nördlich der Tempel der kapitolinischen Trias liegt als Nordabschluß
des Forums die basilica civilis. [57]
Die dreischiffige Basilika nimmt einen Fläche von 97,60 x 23,50 m
ein. Die Nordmauer war innen im unteren Bereich abwechselnd mit halbrunden
und rechteckigen Nischen gegliedert. Im Mittelschiff folgte über den
korinthischen Säulen und dem Gebälk eine Zone von Kalksteinpfeilern,
die mit Reliefdarstellungen von Karyatiden verziert waren. Dazwischen befanden
sich rechteckige Platten, die Tondi mit Reliefbüsten trugen. Der Zugang
zur Basilika erfolgte im Westen, vom cardo maximus aus, durch einen
Vorraum des Mittelschiffs. Zum östlichen cardo lag eine
Reihe von drei tabernae.
Die Fertigstellung des Gebäudes datiert Ivanov nach der Deutung eines
Bauinschriftfragmentes auf das Jahr 135. G. Kabak^cieva meint hingegen,
daß nach den Münzfunden in einer Sondage aus dem Jahre 1989
die Bauzeit der Basilika in die erste Hälfte des 4. Jh. u. z. zu datieren
sei. Vor dem Bau der Basilika verlief nördlich der Forumsmauer noch
ein decumanus, [58] was jedenfalls
eine Datierung gleichzeitig mit der Anlage des Forums ausschließt.
Schon Ivanov selbst bemerkte, [59] daß
es sich nach seiner Datierung um ein sehr frühes Beispiel für
den Ersatz der freiplastischen durch reliefierte Karyatiden handele. [60]
Die Verwendung von Reliefkaryatiden an einem öffentlichen Gebäude
ist bisher ohne Parallele in den römischen Städten Thrakiens
und Mösiens.
Der sich im Süden an die Südostecke der Forumskomplexes anschließende
Tempelbereich, bestehend aus der nach Süden dem decumanus maximus
zugewandten Portikus, dem Peristylhof und dem Tempel selbst, nimmt
eine Fläche von 50,20 x 28,80 m ein.
Über der Portikus befand sich eine zweizeilige Inschrift der Stifter
mit einer Gesamtlänge von 57,60 m, die aufgrund der Siegertitulatur
des Commodus in die Jahre 184-192 datiert werden kann.
Die Portiken des Peristylhofes umschließen ihn von Osten, Süden
und Westen. Das Gebälk auf den korinthischen Säulen ist mit Bukranien,
Girlanden und verschiedenen Figuren (Adler, Weintrauben mit Vögeln,
Bienenkörbe etc.) geschmückt. Der tetrastyle Podiumstempel hatte
Architrave mit einem Fries von Eroten und Girlanden. Das Giebelfeld zeigt
zwei einen Kranz haltende Viktorien. Das Mauerwerk der Substruktionen ist
dem des Gebäudes extra muros sehr ähnlich (Abb.
8 und 9).
Der Tempelbereich wurde zur Zeit der Goteninvasion 376/78 durch Feuer zerstört.
Der Fortunatempel von Oescus ist der einzige bisher veröffentlichte
Fortunatempel im Gebiet des heutigen Bulgarien.
Unmittelbar südlich des decumanus maximus schließt
sich ein großes öffentliches Gebäude (Abb. 10) an, daß
nur teilweise ausgegraben und bis heute (mit Ausnahme des Achäermosaiks)
nur sehr knapp publiziert ist. [62] Der
bisher hervorstechendste Raum ist ein großer rechteckiger, in nord-südlicher
Richtung orientierter Saal (im cardines-System) von 12 x 27 m mit
einer Apsis am Nordende, der von Ivanov als Festsaal bezeichnet wird. Östlich
schließt sich dem dort verlaufenden cardo eine Reihe unregelmäßiger
kleiner Räume an, einer davon mit einer Apsis, ein weiterer mit einer
halbkreisförmigen, wannenartigen Nische. In einer späteren Bauphase
wurde der Bau über den östlichen cardo hinaus erweitert.
Die Mehrzahl der Räume war mit Hypokaustheizung versehen. Der Nordteil
des Gebäudes wurde unlängst in einen Katalog der römischen
Bäder in Bulgarien aufgenomen, ohne daß diese klare Zuweisung
begründet worden wäre. [63] Er
soll vom 2. bis zum 6. Jh. bestanden haben.
Im südöstlichsten der bisher ergrabenen Räume, unmittelbar
neben dem südlichen Haupteingang, wurde 1948 ein mehrfarbiges Fußbodenmosaik
mit der Darstellung dreier Personen aus einer Theaterinszenierung und der
Beischrift MENANDROU ACHAIOI gefunden, das von Ivanov in severische
Zeit datiert und dessen Sujet einer bis dato unbekannten Komödie Menanders
zugewiesen wurde. [64] Erst 1962 wurde
ein Oxyrhynchuspapyrus mit einem Werkeverzeichnis Menanders veröffentlicht,
in dem auch diese Komödie genannt wird. [65]
Ein weiteres Mosaik des 3. Jh. wurde nördlich der Nordmauer von Oescus
II gefunden. Es stellt die Verwandlung des Cupressus in eine Zypresse dar.
[66]
Östlich des Gebäudes mit dem Achäermosaik schließt
sich eine bis heute kaum publizierte Glaswerkstatt [67]
an, weiter östlich folgt ein ebenso unpubliziertes Bad, daß
in Anbetracht seiner Größe und Lage m. E. eher Teil eines Privatgebäudes
als ein öffentliches Bad ist (Abb. 11). [68]
Es handelt sich um eine Reihe von drei hypokaustierten Apsidialräumen,
an die sich ein weiterer, nicht hypokaustierter und nur z. T. erhaltener
Raum anschließt. Auch dieser Komplex wurde mehrfach umgebaut.
Südlich dieser beiden Gebäude erstreckt sich eine Reihe von tabernae
entlang eines weiter südlich folgenden cardo.
In der äußersten südöstlichen Ecke von Oescus I befindet
sich eine ebenfalls nur knapp publizierte Badeanlage (Abb. 12 und 13).
Über einem unerforschten Vorgängerbad aus dem 2. Jh. [69]
erhebt sich ein Bad, das anhand der Funde ins 3. bis 4. Jh. u.Z. datiert
wird. [70] Es handelt sich dabei um einen
Komplex von 28 x 23 m. Durch den Eingang im Norden betritt man einen großen,
nahezu quadratischen Raum von 12 x 12 m, der wohl die Funktionen von apodyterium
und Aufenthaltsraum vereinte. An diesen schließt sich im Osten die
Reihe der Warmbaderäume und im Süden das frigidarium an.
Westlich des Gebäudes befand sich auf einem von anderen Gebäuden
umschlossenen Hof ein Brunnen, der nach Meinung Ivanovs im Bedarfsfall
zur Wasserversorgung des Bades herangezogen wurde.