Von Anfang an hat das System der unterirdischen Korridore und der mit
ihnen verbundenen Tonröhren besondere Aufmerksamkeit erregt. Ein ähnlicher
Einsatz von vertikal in den Wände verbauten Tonröhren ist in
der Diskussion bisher nur in sieben, eventuell acht Fällen bekannt,
die sich - mit einer Ausnahme - alle auf dem Territorium des heutigen Bulgarien
befinden.[116] Außer dem zur Rede stehenden
Gebäude sind das die Thermen von Odessos,[117]
ein Gebäude in Nicopolis ad Istrum,[118]
die Bäder in Philippopolis (Plovdiv),[119]
die "Großen Thermen" von Diocletianopolis (Hissar)[120]
sowie die großen öffentlichen Gebäude von Pautalia (Kjustendil)[121]
und Serdica (Sofia).[122]
Frova diskutiert mehrere Funktionsmöglichkeiten:[123]Eine
Funktion als Heizsystem wird sehr schnell ausgeschlossen, denn die Heizwirkung
von 30 cm starken Tonröhren in bis zu 2 m dicken Wänden kann
als begrenzt angesehen werden; im übrigen fehlt ein praefurnium, denn
am einzig möglichen Standort vor dem zerstörten Ende des Korridors
nördlich von Raum A traf man auf gewachsenen Boden. Die Möglichkeit,
daß das sich an den Gewölbefüßen auf dem Dach sammelnde
Regenwasser durch die Röhren in die Korridore geleitet würde,
ist nach Frovas Meinung auszuschließen, weil die Korridore keinen
Ausfluß hätten und Schnee und Eis im Winter die Röhren
verstopften. Gegen eine Funktion als Zisterne spricht das dafür verhältnismäßig
kleine Volumen der Korridore. Eine Funktion als Drainage für den sehr
feuchten Untergrund sei aus demselben Grunde auszuschließen. Und
schließlich könnten eben wegen der Feuchtigkeit und wegen der
Enge die Korridore auch nicht als Lagerräume gedient haben. Er schließt
mit der Vermutung, daß die Tonröhren der Entlüftung gedient
hätten (ohne zu sagen, was denn entlüftet werden sollte) und
der Feststellung, daß der Zweck der Korridore unsicher bliebe.
Nach fast 25 Jahren nahm sich G. Ko^zucharov wieder des Themas an.[124]
In Auswertung der unter dem damaligen Leninplatz in Sofia (gegenwärtig
Sv. Nedelja) gefundenen Mauern eines großen öffentlichen Gebäudes,[125]
die ebensolche Gänge und Tonröhren enthalten, stellt er die Theorie
auf, daß es sich dabei um eine spezielle Technologie zur Trockenhaltung
der Fundamentmauern in feuchtem Terrain (das auch in Sofia Baugrund ist)
handelt.
Die bei den Ausgrabungen 1963 näher untersuchte Mauer (Abb. 32 und
33) besteht aus opus mixtum und hat eine Breite von 3,20 m. In ihr verläuft
ein 1,80 m hoher und 0,70 m breiter Gang, der sehr feucht ist. Bei einer
relativ starken Bodenablagerung handelte es sich nach KoÏucharov nicht
um Kanalsediment. Von dem Gang aus verlaufen in einem Abstand von 2,90
m Tonröhren mit einem inneren Durchmesser 0,23 m senkrecht in der
Mauer nach oben. Zwischen den beiden angrenzenden Räumen geht ein
0,60 m breite überwölbte Öffnung auf Höhe der suspensura
durch die Mauer. Diese Öffnung wurde in einer Umbauphase von Raum
2 aus verschlossen, als dessen suspensura in eine Hypokaustheizung umgebaut
wurde, wie Rauchspuren zeigen.
Indem Ko^zucharov davon abgeht, einen Zusammenhang zwischen der Bestimmung
des Gebäudes und den Korridoren zu suchen, weil sie ja dann viel häufiger
in römischen Gebäuden auftreten müßten, kommt er dazu,
daß sie einen den Geländebedingungen geschuldeten konstruktiven
Zweck erfüllen. Vitruv[126] beschreibt als
Methode zur Isolierung einer feuchten Wand, daß eine zweite davorgesetzt
und dafür gesorgt werden solle, daß zwischen beiden eine Entlüftung
möglich ist, damit die neue Mauer trocken bleibe. Die Übertragung
dieses Prinzips auf ein Gebäude in ebenem feuchten Gelände führt
zu einem System, wie wir es in Sofia und Oescus finden. Durch die Schrägröhren
und den Eingang entstünde ein Luftzug, der durch die Vertikalröhren
entweicht. Auf diese Weise wird die in den Mauern aufsteigende Feuchtigkeit
ständig verdunstet, ehe sie die oberirdischen Räume erreichen
kann.
Fraglich ist, ob durch die geringe Zahl der Schrägröhren, die
zudem noch einen sehr kleinen Durchmesser haben, ein ausreichender Zug
entstehen kann; weiter, ob nicht der ständige Zug, der dann notwendigerweise
auch in den Räumen herrschte (die zudem eine ständig offene Verbindung
nach außen besitzen müßten), das Klima in ihnen nicht
äußerst unangenehm machen würde.
Kritisiert wurde Ko^zucharovs Theorie von S. Bob^cev.[127]
Er bemängelt zum einen die Unterscheidung der von KoÏucharov
angenommenen Funktion von der einer tatsächlichen Drainage und fragt
weiter, warum die Außenwände keine solchen Trocknungskanäle
hätten. Auf der Suche nach dem konstruktiven Zweck dieser Gänge
kommt er zur Vermutung, daß sie in die Fundamente eingebaut wurden,
um den Druck der besonders dicken Wände auf den Boden zu senken. Bei
den Außenwänden sei das nicht möglich, da diese auch den
seitlichen Schub abzufangen hätten. Diese Erklärung darf wohl
verworfen werden: Die Wände werden im Gegenteil auf diese Weise instabiler.[128]
Interessant sind zwei der von Bob^cev genannten weiteren Beispiele.[129]
Die Wände zu beiden Seiten der Kryptoportikus in den Substruktionen
der Fora von Trier und Bavai (Frankreich)[130]
enthalten »Trocken- und Sickerkanäle«. In der Tat scheinen
die 0,50 bis 0,70 m breiten und bis zu 2 m hohen Kanäle keinen Abfluß
zu haben, zumindest können keine großen Wassermengen darin geflossen
sein, da sie in beiden Fällen bei Umbauten unterbrochen wurden. Es
scheint also, daß ein derartiges Drainagesystem auch ohne Abfluß
und Ventilation funktionieren kann.
Eine weiterer Bau mit Korridoren in den Wänden finden wir in Metz.
In der Mauer der kreisrunden piscina der Thermen von Îlot
Saint-Jaques wurde ein 0,60 m breiter Gang gefunden.[131]
Leider lassen die Erhaltung und die Umstände einer Notgrabung keine
weiteren Aussagen zu.
Alle Erklärungsversuche blieben unbefriedigend, was K. Va^ceva veranlaßte,
alle bis dahin bekannten sieben Objekte, die »vaulted galleries«
und Tonröhren in den Wänden besitzen (s. o. S. 38; Abb. 34, 35,
36, 37, 38, 39), zu einer Untersuchung heranzuziehen.[132]
Als erste Beobachtung bleibt festzuhalten, daß sich die Tonröhren
entweder an Raumecken oder in Innenwänden an Stellen, wo Gewölbe
zusammenstoßen, befinden. Das ist auch die wesentliche Übereinstimmung.
Weiter führen die Tonröhren in mindestens vier Fällen[133]
in überwölbte Gänge in den Fundamenten der Mauern. Schließlich
sollen vom Fußbodenniveau der Räume Schrägröhren oder
Schächte in die Gänge führen.[134]
Va^ceva geht davon aus, daß die logische Bestimmung der Tonröhren
die Sammlung und Ableitung von Regenwasser sei. Damit ist natürlich
auch der Zweck der Korridore klar, zumal nach ihrer Meinung alle sieben
Bauten Bäder sind:[135] Es handelt sich
um eine Kanalisation.
Am deutlichsten ist das Beispiel der Thermen von Odessos (Abb. 39 und 40).
Hier sind Tonröhren und "Korridore" Teile eines umfangreichen
Abwassersystems auf mehreren Ebenen, das von kleinen Abflußkanälchen
bis zu großen, begehbaren[136] Kanälen
(den "Korridoren") reicht (Abb. 39).
Nach Va^ceva lassen sich die genannten Bauten in zwei Gruppen unterteilen:
Die einen (Odessos, Nicopolis ad Istrum, Philippopolis) stehen auf festem
Grund mit niedrigem Grundwasserspiegel. Sie haben Röhren an den Ecken
der Säle oder Stellen, wo Dachkonstruktionen zusammentreffen. Die
anderen (Oescus Diocletianopolis, Serdica, Pautalia) haben Röhren
im Abstand von 3,40 m bis 1,30 m, meist ca. 3 m. Die größere
Anzahl der Röhren dient nach Va^ceva zusätzlich zur Ventilation,
um die Feuchtigkeit aus dem Innern der Mauern abzuführen.
Die letzte Gruppe ist mit einer besonderen Art der Heizung verbunden: Die
Hypokausten in Pautalia bestehen aus Arkadenreihen, die mit Tonnengewölben
verbunden sind (Abb. 51). In Serdica handelt es sich ebenfalls um eine
Arkadenkonstruktion.
Kehren wir nun zum hier zur Rede stehenden Gebäude zurück. Bei
aller Zurückhaltung gegenüber der doch recht oberflächlichen
Arbeit Va^cevas bleibt die auffällige Tatsache, daß durch die
Vertikalröhren der Regen- und Schmelzwasser zwangsläufig in die
Tonröhren und also in die unterirdischen Korridore fließen muß.
Es stellt sich damit die Frage nach seinem weiteren Verbleib. Der rekonstruierte
Grundriß von Va^ceva zeigt Ausflüsse an den Enden der Korridore,
die zur Westfassade des Gebäudes führen. Die Enden dieser Korridore
erscheinen aber - und das ganz sicher antik - abgeschlossen und die Außenfassade
durchgehend. Betrachtet man hingegen den zerstörten Abschluß
des Korridors östlich von Raum A, bestünde hier die Möglichkeit,
einen Ausfluß anzunehmen, zumal diese Seite dem Stadtgraben unmittelbar
zugewandt ist. Frova meint zwar, daß dieser Korridor an dieser Stelle
abgeschlossen war, aber die von ihm als Beleg angeführten Eckquader,
die sich auch heute noch in situ befinden, liegen oberhalb des Gewölbescheitels.
Bei genauer Betrachtung des Zustandes (Abb. 41 u. 42) und auch des Grabungsfotos
(Abb. 43) gibt es keinen zwingenden Grund anzunehmen, daß der Gang
verschlossen war. Da es aber das Ungewöhnlichere ist, daß ein
Gangsystem, in das Wasser läuft, keinen Abfluß hat, zwingt uns
somit nichts, dies zu vermuten.
Schwierig ist allerdings die Frage des Nivellements. Leider stehen mir
keine Nivellements der Korridore wie auch des Stadtgrabens zur Verfügung.
Das gesamte Gebäude scheint heute im Verhältnis zum umgebenden
Terrain sehr tief zu liegen (Abb. 44). Aber es muß auch davon ausgegangen
werden, daß der Stadtgraben zugestürzt bzw. -geschwemmt ist.
Eine einfache Messung, um festzustellen, ob in den Gängen ein Gefälle
existiert, verbunden mit einer Sondage, um das Niveau der antiken Grabensohle
festzustellen, könnte die oben geäußerte Vermutung zwar
nicht beweisen, aber entweder wahrscheinlicher machen oder mit Sicherheit
ausschließen.[137]
Die zweite Auffälligkeit im Plan der Anlage ist der Umstand, daß
- abgesehen von den fünf schmalen Öffnungen zwischen den Räumem
D und E - auf dem von Frova angenommenen Fußbodenniveau kein Raum
mit dem anderen in Verbindung steht. Das heißt, alle Räume wären
nur von außen zugänglich gewesen, darüber hinaus hätte
Raum A auf dieser Ebene überhaupt keinen Zugang gehabt.
Wie sich zeigen wird, ist die Klärung oder zumindest Erhellung dieses
Problems mit dem Problem der Beheizbarkeit verbunden. Abgesehen von der
Tatsache, daß keinerlei Reste einer Heizungsanlage gefunden wurden,
schien es auch ausgeschlossen, daß das Gebäude eine solche besessen
haben könnte. Damit sich irgendwo außerhalb oder innerhalb ein
- vielleicht verlorenes - praefurnium befunden haben könnte, hätten
in den Wänden ausreichend große Öffnungen unterhalb des
Bandes von drei Ziegelreihen vorhanden sein müssen, die den Durchzug
der Heizgase vom fornax in die zu beheizenden Räume gestatteten
oder als indirekte Heizkanäle dienten. Aber auch die am tiefsten ausgebrochenen
Öffnungen der Außenmauern genügten nicht für eine
Heizöffnung, und in den Innenmauern befinden sich die unterirdischen
Korridore, deren Gewölbe erst mit dem Band von drei Ziegelreihen abschließt.
Da es bei einem solchen - wie zu vermuten steht - öffentlichen Gebäude
merkwürdig wäre, sollte es nur durch Kohlebecken beheizt worden
sein, muß die Frage erlaubt sein, ob eine Boden- und Wandheizung
tatsächlich ausgeschlossen oder nur nicht mehr nachweisbar ist.
Hier kommen wir auf die Beobachtung Va^cevas zurück, daß in
Gebäuden mit unterirdischen Korridoren sich diese unter dem Niveau
der Heizung befanden.[138] Auch in anderen Thermen
befand sich die Kanalisation unterhalb der Hypokaustanlagen (Abb. 45).[139]
Betrachten wir die Hypokaustanlagen in Bulgarien, so finden wir in feuchtem
Gelände (Serdica,[140] Nicopolis ad Nestum[141])
vor allem oberirdische Hypokaustanlagen.[142]
Auch bei dem wesentlich höher gelegenen "Südostbad"
von Oescus befindet sich das Hypokaust oberhalb des Umgebungsniveaus (Abb.
46 und 47). Will man diese Annahme für Oescus zulassen, hieße
dies, daß das bisher als Fußbodenniveau angenommene Niveau
nur das des Hypokaustbodens wäre. Die Durchgänge zwischen den
Räumen könnten nicht erhalten sein, weil sie sich über dem
Hypokaustraum auf Höhe des beheizten Fußbodens befunden hätten.
Die bisher für Eingänge gehaltenen Öffnungen kämen
zumindest teilweise als Rauchgaszugänge von Präfurnien her in
Frage.
Es ist nun zu klären, ob eine solche Hypothese mit dem Befund zu vereinbaren
ist. Die maximale Erhaltung der Mauern über dem nun anzunehmenden
Hypokaustboden liegt bei 1,20 m. Die Abstand zwischen Praefurniumsboden
und Fußbodenniveau beträgt bei den verschiedenen Bauweisen der
Hypokauststützen etwa zwischen 0,85 und 1,45 m (Bad Diocletianopolis,
Tonröhren: ca. 0,85 m (Abb. 48); Oescus, "SO Bad", Ziegelpfeiler:
ca. 1,20 m (Abb. 49); Nicopolis ad Istrum, Bad (?), Arkadenreihen: ca.
1,40 m (Abb. 50); Pautalia, öffentliches Gebäude (Bad?), Arkaden
Gewölbe Konstruktion: ca. 1,45 m (Abb. 51)). [143]
Wenn wir der Beobachtung, daß auf feuchtem Terrain stabilere und
damit höhere Hypokaustkonstruktionen Verwendung finden,[144]
folgen, ist es möglich, daß in Oescus die Schwellen der Durchgänge
zwischen den Räumen und die oberen Abschlüsse der Öffnungen
zu den praefurnia verloren sind. Wenn letztere teilweise auch sehr
groß erscheinen, sei darauf hingewiesen, daß sie zum Hitzeschutz
in der Regel noch einmal mit Ziegeln ausgekleidet wurden (Abb. 52).[145]
Wenn wir uns den Baubefund des Gebäudes in Oescus in Erinnerung rufen
(s. o.), finden wir etwa 1,20 über dem Band von drei Ziegelreihen
ein weiteres Ziegelband, von dem jetzt noch stellenweise eine Reihe erhalten
ist, von dem aber Frova noch drei Ziegelreihen gesehen hat.[146]
Dieses Ziegelband markiert möglicherweise das Fußbodenniveau.
Natürlich stellt sich bei dieser Hypothese die Frage nach dem Außenniveau.
Die an der Südostecke gefundene Straße lag vier bis fünf
Steinreihen unter Höhe des Bandes von drei Ziegelreihen. Allerdings
scheint sie nicht zu der ursprünglich geplanten Anlage gehört
zu haben. Sie war von schlechter Qualität und es fanden sich auf ihr
byzantinische Münzen und Gläser. Es ist nicht zu klären,
auf welche Weise - ob durch Terassierung oder Treppen - der Höhenunterschied
auszugleichen gewesen wäre. Jedenfalls liegt auch beim "SO-Bad"
das Fußbodenniveau der Baderäume ca. 1,00 bis 1,20 m über
dem Niveau des davor verlaufenden decumanus. Hier führt in einem Vorraum
eine Treppe auf das notwendige Niveau.
Es bleibt zu begründen, warum keinerlei Reste der Heizungsinstallation
gefunden wurden. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß auch
ein Fußboden / Hypokaustraumboden sowie jegliche Innenausstattung
fehlen. Die gefundenen Marmorteile befanden sich an keiner Stelle in
situ. Frova vermutet, daß das Gebäude systematisch geplündert
und gewaltsam zerstört wurde und verweist dabei auf Brandspuren an
einigen in den späten Mauern wiederverwendeten Teilen.[147]
In der Tat wäre es möglich, eine Hypokaustheizung, deren konstruktive
Anbindung an die Wand ja "über Putz" ausgeführt wurde,
herauszureißen, ohne daß an der "Kernmauer" Spuren
blieben. Abb. 53 zeigt als Beispiel eine teilweise Zerstörung bei
einem Ziegelpfeilerhypokaust. An einigen Stellen sind die Pfeiler nur noch
durch Spuren im Putz auszumachen. Es bleibt aber schwierig, sich eine Zerstörung
vorzustellen, bei der an keiner Stelle auch nur eine Spur von Putz an den
Wänden geblieben wäre. Deshalb sollte eine weitere Möglichkeit
in Betracht gezogen werden: Im Laufe des 2. Jh. u. Z. war die Stadt Oescus
weit über die Stadtmauern hinaus gewachsen.[148]
Auch der große Neubau eines öffentlichen Gebäudes in der
ersten Hälfte des 3.Jh. wurde außerhalb der Mauern angelegt.
Ab 238 u. Z. wurde die Lage in Niedermösien durch Barbareneifälle
zunehmend unsicherer (s. Abschnitt »Geschichte«). Spätestens
für das Jahr 250 haben wir Hinweise auf eine direkte Einbeziehung
Oescus' in die Auseinandersetzung: In Gigen wurde ein Münzhort gefunden,
der mit Münzen von Philippus Arabs schließt.[149]
Gerov bringt ihn zu Recht mit der Goteninvasion von 250 in Verbindung.[150]
Ivanov nimmt an, das die unter den neugebauten Mauern von Oescus II gefundenen
Wohnhäuser zu dieser Zeit zerstört wurden.[151]
Schließlich haben wir noch die Nachricht, daß Decius bei Oescus
sein Heer reorganisierte, bevor er zu dem für ihn verhängnisvollen
Feldzug aufbrach.[152] Es scheint also nicht
zu kühn zu vermuten, daß der in sichereren Zeiten begonnene
Bau, vielleicht schon durch die kriegerischen Auseinandersetzungen in Mitleidenschaft
gezogen, aufgegeben wurde, bevor er fertiggestellt war.[153]
In dem halbfertigen Bau, der aber zumindest in einigen Räumen schon
überwölbt war, wurden später nach nicht allzu langer Zeit
für eine andere Nutzung (möglicherweise als Lager oder Stall)
kleine Mäuerchen eingezogen, die sich sämtlich auf dem Niveau
befinden, auf das ursprünglich der Hypokaustboden kommen sollte. Das
hieße auch, das alle in dem Gebäude gefundenen Objekte - außer
den oben beschriebenen Ausnahmen durchaus nicht unbedingt mit
der geplanten Erstnutzung in Verbindung zu setzen sind.
Als Grundlage für die Deutung des Gebäudes bleibt, da die
Funde zum einen keine Hinweise für eine Interpretation bieten, zum
anderen, wie gezeigt, unter Umständen dem Gebäude in seiner geplanten
Funktion nicht zugehören, nur das Gebäude selbst, seine Lage
und sein Grundriß.
Die Größe des Gebäudes, die massive Bauweise und - will
man die gefundenen Marmorteile dem Bau zuschlagen - die luxuriöse
Ausstattung lassen vermuten, daß es sich um ein öffentliches
Gebäude handelt. Die Lage außerhalb der Stadt schließt
ein Verwaltungsgebäude aus, denn das hätte unbedingt in der Nähe
des Forums seinen Platz gefunden. Gegen irgendeine religiöse Funktion
spricht der Grundriß des Gebäudes, der in der bekannten Sakralarchitektur
dieser Zeit keine Parallele findet.[154] Auch
die Militärarchitektur bietet keine Parallelen, zumal nach dem bisherigen
Wissensstand zur fraglichen Zeit keine nennenswerte Garnison in Oescus
lag. Die Lage vor der Stadt läßt an eine Einrichtung in Verbindung
mit Reise und Handel denken, etwa eine Staßenstation (mansio, mutatio
). Aber auch hierfür wäre eine weniger monumentale Architektur
zu erwarten und, wichtiger noch, kleinere Räume, die zur Unterbringung
der Gäste sowie als Wirtschaftsräume geeignet waren.
Nach allen diesen Überlegungen bleibt kaum eine Möglichkeit der
Deutung, außer der, die ein flüchtiger Blick auf den Grundriß
bereits als naheliegend erscheinen läßt, nämlich eine Deutung
als öffentliches Bad. Im weiteren wird untersucht werden, ob außer
dem Fehlen von Ausschlußgründen auch positive Indizien für
eine Interpretation als Bad sprechen.
(weiter)